Vergessene Konflikte: Äthiopien und Eritrea (TPLF/Tigray)

17.03.2022

Karte, die die Akteuere im vergessenen Konflikt in Äthiopien darstellt

Wenn aus Frieden wieder Krieg wird

Erst Frieden, dann Krieg. Im Jahr 2019 wurde der seit 2018 amtierende äthiopische Premierminister Abiy Ahmed für seine Bemühungen, den Grenzkonflikt mit Eritrea beizulegen, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.[1] Ein Jahr später, im September 2020, schufen die in der Provinz Tigray gegen den Willen der Nationalregierung abgehaltenen Regionalwahlen ein Pulverfass. Es entflammte ein nationaler Machtkonflikt zwischen der äthiopischen Regierung – unterstützt von Eritrea und Milizen aus der Region Amhara – und dem Wahlsieger, der Tigray People’s Liberation Front (TPLF). An der Spitze: Premierminister Ahmed, der einen seinerseits befürchteten Machtverlust abwenden wollte und damit sein internationales Ansehen als Friedensstifter verwirkt hat.

Gewaltsame Eskalation und massive Menschenrechtsverletzungen

Anfang November 2020 eskalierte die Lage in dem am Horn von Afrika liegenden Land, als Ahmed, in Reaktion auf angebliche Angriffe tigrayischer Sicherheitskräfte auf Militärbasen in Tigray, die Anweisung einer Militäroffensive in der Region erteilte.[2] Die Folge: Ein innerstaatlicher Krieg, der die weltweite Aufmerksamkeit auf sich zog und sie – bis auf wenige Ereignisse – genauso schnell wieder verlor.

Seitdem bombardiert das äthiopische Militär neben mutmaßlichen Stellungen der TPLF die zivile Infrastruktur und Wohnhäuser. Gefechte sowie Angriffe auf Zivilist*innen lassen sich seit Juli 2021 neben Tigray auch in Afar und Amhara beobachten. Dabei begehen alle beteiligten Konfliktakteure hochgradige Menschenrechtsverletzungen, zu denen willkürliche Massenerschießungen, Folter, Festnahmen, Entführungen sowie Vergewaltigungen zählen, wie regelmäßige Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch darlegen.[3] Im Oktober 2021 verschärfte sich die Situation erneut. Zunächst führte eine erneute Militäroffensive zur kompletten Isolation von Tigray.[4] Anschließend rief Premierminister Ahmed im November einen bis Februar 2022 andauernden nationalen Notstand aus. Somit schuf er ein politisches Klima, in dem das Militär mit einer noch größeren Willkürlichkeit gegen die Bevölkerung, vorrangig gegen ethnische Tigrayer, vorgeht.[5]

Friedensverhandlungen in Sicht?

Nach 13 Monaten Krieg kündigte die TPLF im Dezember 2021 ihren Rückzug nach Tigray an, während Regierungsvertreter zugleich versprachen, dass Kampfhandlungen der Armee und ihrer Verbündeten mit dem Ziel weiterer Gebietsgewinne in Tigray vorerst eingestellt werden sollen.[6] Gibt es Anzeichen für eine beidseitige Bereitschaft zu Friedensverhandlungen? Internationale Beobachter äußern zunehmend Hoffnung, insbesondere nachdem die Nationalregierung Anfang Januar diesen Jahres die Freilassung hochrangiger TPLF-Kämpfern verkündete.[7] Weitere Zeichen einer ersten Annäherung konnten im Februar beobachtet werden, als Premierminister Ahmed seine Gesprächsbereitschaft signalisierte und die Bildung einer Nationalen Verhandlungskommission zur Ausarbeitung von Verhandlungsvorschlägen anordnete. Die TPLF stellte demgegenüber bereits konkrete Bedingungen für ihre Teilnahme an Verhandlungen, darunter den Abzug eritreischer Truppen, „einen unabhängigen Vermittler und, dass [Tigray] einen uneingeschränkten Zugang zu humanitärer Hilfe erhalte”.[8]

Da Anordnungen, Versprechen und Forderungen allein als Indikatoren für die Bewertung des politischen Risikos nicht ausreichend sind, betrachten wir bei MBI CONIAS auch die durch beide Konfliktakteure ausgeübte Gewalt. So konnten im Januar 2022 keine Anzeichen für eine Abnahme der Kampfaktivitäten festgestellt werden, da die Indikatoren für die Provinzen Afar und Tigray weiterhin auf Krieg standen. Gleichzeitig dauerten auch die seit September 2021 zu beobachtenden Gefechte zwischen den gleichen Konfliktparteien in der an den Sudan sowie Südsudan grenzenden Provinz Benishangul-Gumuz an. Einzig in Amhara deeskalierte die Lage zu einer gewaltsamen Krise. Im Februar dagegen stützen unsere Daten erstmals die international geäußerte Hoffnung auf eine politische Annäherung. Landesweit konnte eine geringere Kampfaktivität festgestellt werden und, was sich als besonders signifikant erweist: Für die Provinz Tigray wurden erstmals seit Beginn des Konfliktes keine Auseinandersetzungen zwischen den äthiopischen Regierungstruppen und der TPLF gemeldet.

Zum jetzigen Zeitpunkt gilt eine territoriale Ausweitung des Konfliktes als unwahrscheinlich. Das Konfliktpotenzial in Äthiopien hängt jedoch davon ab, wie ernsthaft beide Konfliktparteien ihr Bestreben nach Verhandlungen künftig verfolgen und wie sich das Ausmaß der militärischen Gewalt in den kommenden Monaten entwickeln wird. Mit diesen Tendenzen hängt auch die Frage nach einer Rückkehr Äthiopiens zum African Growth and Opportunity Act zusammen, durch dessen Ausschluss im Januar 2022 mehreren Millionen Äthiopier*innen das Unterschreiten der Armutsgrenze droht.[9]

Dieser Fall zeigt, dass jede gewaltsame Auseinandersetzung ihre eigene Dynamik entwickelt, insbesondere aber wenn es zu einer überraschenden kriegerischen Eskalation kommt – stand in Äthiopien doch ein Friedensnobelpreisträger an der Spitze einer der Konfliktparteien. Aufgrund dessen setzen wir bei MBI CONIAS auf eine monatliche sowie auf die Regionen eines Staates zugeschnittene Beobachtung von Konflikten. Diese Methodik ermöglicht es uns, Entwicklungstendenzen zu erkennen und zu evaluieren, um unsere Kunden frühzeitig über die Entstehung potenzieller Risiken zu informieren. Für weitere Informationen kontaktieren Sie gerne unser Sales-Team.

Über die Autorin:
Sarah Pauly
CONIAS Risk Intelligence
Michael Bauer International GmbH

Quellenangaben:
[1] https://www.bbc.com/news/world-africa-50013273 [13.12.2021]
[2] https://www.aljazeera.com/news/2020/11/4/ethiopia-declares-state-of-emergency-in-opposition-tigray-region [13.12.2021]
[3] https://www.hrw.org/tag/tigray-conflict; https://www.amnesty.org/en/latest/news/?qlocation=1749 [13.03.2022]
[4] https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/tigray-offensive-diekhans-101.html [17.12.2021]
[5] https://www.france24.com/en/africa/20220215-ethiopia-lifts-wartime-state-of-emergency-three-months-earlier-than-expected [13.03.2022]
[6] https://english.almayadeen.net/news/politics/tplf-announce-retreat-to-tigray#:~:text=The%20Tigray%20People%27s%20Liberation%20Front%20%28TPLF%29%20announced%20Monday,decided%20to%20withdraw%20from%20these%20areas%20to%20Tigray; https://apnews.com/article/africa-kenya-ethiopia-4790308166bf9e6a1705675fccb53cf6 [21.01.2022]
[7] https://www.aljazeera.com/news/2022/1/7/ethiopia-announces-pardons-for-high-profile-political-prisoners#:~:text=Ethiopia%20announces%20pardons%20for%20high-profile%20political%20prisoners%20Gov%E2%80%99t,being%20pardoned%20and%20released%20%5BFile%3A%20M; https://www.theeastafrican.co.ke/tea/rest-of-africa/there-is-hope-for-peace-in-ethiopia-un-says-3711400 [13.03.2022]
[8] https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-02-22/ethiopia-s-abiy-says-government-open-to-talks-with-tigray-rebels; https://www.telesurenglish.net/news/Ethiopia-Tigrays-TPLF-Sets-Peace-Talks-Conditions-With-Govt-20210219-0016.html [13.03.2022]
[9] https://www.euronews.com/2021/10/29/ethiopia-conflict-trade; https://www.voanews.com/a/us-suspends-ethiopia-s-duty-free-access-over-tigray-violations/6296829.html [15.12.2021]