Das CONIAS Risk Intelligence Konfliktradar im September 2022

29.11.2022

Das Jahr 2022 ist das Jahr der Zeitenwende – zumindest insofern, dass politische Risiken endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die sie schon lange verdient haben. Bei deren früheren Betrachtung wären Deutschland und viele andere Staaten sowie Unternehmen außerdem viel besser auf die aktuelle Lage vorbereitet gewesen.

Anzahl politischer Konflikte und Kriege, Stand September 2022

Einen Überblick über die aktuelle Konfliktlage gewinnen

MBI CONIAS unterstützt seine Kunden seit Jahren dabei, einen Überblick über die aktuelle Gefährdungslage zu gewinnen. Dabei gilt es zu analysieren, welche der aktuellen politischen Auseinandersetzungen eine Gefährdung für die eigenen Interessen darstellen und wo noch sichere geographische Räume für Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der Lieferkette oder sonstiger Aktivitäten bestehen. Heute geben wir mit dem Konfliktradar einen Einblick in die aktuelle Konfliktlage, den unsere zahlenden Kunden bereits vor Wochen erhalten haben: Die globale Konfliktlage zum Stand 30.9.2022.

Erschreckend hoch ist für viele die Anzahl der kriegerischen Konflikte in diesem Jahr: Denn neben dem alles überschattenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine beobachteten wir bislang fast 60 weitere kriegerische Auseinandersetzungen – 49 innerstaatliche und weitere neun zwischenstaatliche. Allerdings sind einige dieser gezählten Kriege Teile eines Konfliktsystems, die in anderen Übersichten einfach Bürgerkrieg in Land A oder Land B heißen würden. Von diesen innerstaatlichen Kriegen betroffen sind Myanmar, Jemen, Afghanistan und Syrien. Aber auch Äthiopien, Pakistan und Israel müssen zu den Ländern gezählt werden, die von innerstaatlichen kriegerischen Handlungen betroffen sind – wenn auch jeweils in unterschiedlichem Ausmaß und Dauer.

Gleichwohl werden auch zwischenstaatliche Kriege nicht immer im gleichen Ausmaß ausgetragen wie zwischen der Ukraine und Russland. So zählen wir aktuell neun weitere Kriege oder begrenzte Kriege zwischen Staaten. Kriege verändern kontinuierlich ihre Form und ihr Ausmaß. Konflikte, in denen jedoch schwere Waffen eingesetzt werden und größere Militärverbände Operationen durchführen, werden von uns zu dieser Kategorie gezählt. Ebenso führt auch ein verstärkter Einsatz von Kamikaze oder Schussdrohnen über einen längeren Zeitraum zur Einordnung als kriegerischer Konflikt. In diese Kategorie fallen Konflikte wie der erneut ausgebrochene Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, Auseinandersetzungen zwischen den Nachbarländern Afghanistan und Pakistan, aber auch die Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Iran.

Gewaltsame Konflikte unterhalb der Kriegsschwelle sind schwierig zu interpretieren und stellen ein besonderes Gefährdungspotential dar

Während (laufende) Kriege eindeutige Stopp-Schilder darstellen und jegliche wirtschaftlichen und touristischen Aktivitäten verbieten, sind gewaltsame Konflikte unterhalb der Kriegsschwelle schwieriger zu interpretieren: Die Schwelle zur Gewalt ist in vielen Ländern schnell überwunden, ohne dass das zu ernsthaften Schwierigkeiten im Tagesablauf führt. In anderen Konflikten steckt hinter dem Begriff Gewaltkonflikt jedoch ein derart starker Einfluss, dass er einigen kriegerischen Konflikten sehr nahe kommt. Wir werden das Problem in einem der nachfolgenden Berichten erneut aufgreifen.

Insgesamt konnten bisher 477 gewaltsame Konflikte beobachtet werden, 21 davon zwischenstaatlich. Eine Vielzahl dieser Konflikte kann tatsächlich dem Bereich sozialer Konflikt zugeordnet werden. Das heißt, dies sind Konflikte, bei denen sich oftmals eher spontan Gruppen mit gleichen Interessen verbinden, um im Anschluss gemeinsam ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Diese Forderungen richten sich in der Regel gegen den Staat (ohne dabei gleich einen Regierungs- oder Systemwechsel zu verlangen) und sind eher als Partikularinteressen zu verstehen. Das können beispielsweise Forderungen von Bauern nach Ausgleichszahlungen nach einer schlechten Ernte oder Bedienstete im Transportbereich, die höhere Löhne verlangen, sein. Aber auch Demonstrationen gegen Korruption bzw. die ein stärkeres Maßnahmenpaket des Staates verlangen, könnte man in diesen Bereich der sozialen Konflikte einordnen – solange sie nicht mehrheitlich die Ablösung der Regierung fordern. Kennzeichen dieser Art von Konflikten ist, dass die beteiligten Akteure meist nur schwach organisiert sind und deshalb auch in der Regel über keine oder nur sehr einfache Waffen (z. B. Steine, die sie auf der Straße finden) verfügen. Solche Art von gewaltsamen Konflikten findet man beispielsweise in Pakistan, Kolumbien, Südafrika oder Mexiko – eigentlich überall auf der Welt, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.

Hinter gewaltsamen Konflikten unterhalb der Kriegsschwelle können sich jedoch auch teilweise seit Jahrzehnten etablierte Konflikte verbergen, die von hochspezialisierten Akteuren ausgetragen werden und sehr nahe an Konfliktformen heranreichen, die man als Krieg bezeichnen würde. Beispiele hierfür sind Konflikte, die in der Öffentlichkeit gerne als ethnische Konflikte oder als Klan-Rivalitäten bezeichnet werden. Besonders in großen Flächenstaaten mit verringerter Staatlichkeit, in denen der Staat Schwierigkeiten hat, sein Gewaltmonopol auch in den weiter entfernten Gebieten durchzusetzen, ist diese Gewaltform zu finden. Beispiele sind Somalia, Kenia, Mexiko, Nigeria und Ghana, um nur einige wenige zu nennen. Hier sind es meist nur die Anzahl der Bewaffneten und die leichte Bewaffnung, die diese als Konflikte unterhalb der Kriegsschwelle erscheinen lassen. Angehörige der verschiedenen Gruppen mögen diese Konflikte aber allein aufgrund der Häufigkeit der Übergriffe oder des geringen Sicherheitsgefühls als Kriege empfinden.

Zwischenstaatliche Konflikte mit Gewalteinsatz – unterhalb der Kriegsschwelle – stellen ein besonderes Gefährdungspotential dar. Verbietet doch die UN-Charta allen ihren 193 Mitgliedsstaaten den Einsatz von Gewalt, um Konflikte mit anderen Staaten zu lösen. Derzeit zählen wir 20 solche Auseinandersetzungen. Viele davon sind auf bestimmte Abschnitte einer Grenze begrenzt und werden gewissermaßen ritualisiert mit gelegentlichen Schusswechseln ausgetragen, ohne dass dabei ernsthaft Menschenleben gefährdet sind. Neu hinzu gekommen sind in den letzten Jahren aber Konflikte zwischen der Ukraine und Belarus, zwischen Afghanistan und dem Iran oder zwischen Äthiopien und dem Sudan. Sie alle stellen Potentiale für weitere Eskalationen dar und werden von uns weiterhin monatlich beobachtet.

Friedlich ausgetragene Konflikte dürfen keinesfalls vernachlässigt werden

Zu guter Letzt beobachten wir auch insgesamt 564 Konflikte, die in diesem Jahr friedlich ausgetragen wurden. Darunter 435 innerstaatliche und 129 zwischenstaatliche Konflikte. Doch das Wort friedlich darf auf keinen Fall dazu verleiten, diese Konflikte als unwichtig oder weniger beachtenswert zu klassifizieren. Manche dieser Konflikte dürfen keinesfalls jemals mit Gewalt ausgetragen werden, beeinflussen aber bereits in der Art, in der sie aktuell friedlich ausgetragen werden, den Wohlstand und das Entwicklungspotential ganzer Nationen in massiver Weise. Ganz eindeutig fallen in diese Kategorie Konflikte wie diese zwischen China und den USA, der USA und Nordkorea, China und Taiwan und natürlich die Beziehungen zwischen der NATO und Russland ganz speziell in der Ukrainefrage.

Es haben jedoch auch innerstaatliche Konflikte, die in diesem Jahr komplett oder überwiegend gewaltlos ausgetragen werden, das Potential, dem Ansehen sowie der Reputation von Staaten massiv zu schaden und müssen deshalb beobachtet werden. Beispiele hierfür sind der Umgang deutscher Bürger mit ihren jüdischen Mitbürgern, in den USA das Problem des offenen oder versteckten Rassismus‘ (Black Lives Matter) und in vielen (ost-) europäischen oder muslimisch geprägten Staaten der Umgang mit LGBTQ+ Gruppen.

Fast 1.100 laufende politische Konflikte – und jeden Monat werden es mehr. Zu viele, um sie alle selbst zu beobachten, zu schwerwiegend der Schaden, den sie anrichten können. Sprechen Sie mit unseren CONIAS Risk Intelligence Experten, wir finden gemeinsam mit Ihnen das geeignete Instrument, um über politische Risiken für Ihr Unternehmen die Kontrolle zu gewinnen. Für weitere Informationen kontaktieren Sie gerne unser Experten-Team.

Über den Autor:
Dr. Nicolas Schwank
Chief Data Scientist Political Risk
CONIAS Risk Intelligence
Michael Bauer International GmbH