Neue Autos auf alten Straßen – Chinas Seidenstraßenprojekt

05.06.2019

Chinas will die Seidenstraße wiederbeleben. 
Welche Risiken birgt das für die Handelswege der internationalen Automobilindustrie?

Die Überraschung war groß im schweizerischen Davos: Zum ersten Mal in der Geschichte des renommierten Weltwirtschaftsforums gab 2017 das Staatsoberhaupt eines nicht-kapitalistischen Landes den Eröffnungsredner – noch dazu mit einem Plädoyer für den Freihandel. Während seiner Rede betonte Xi Jinping, Staatspräsident und Generalsekretär der Kommunistischen Partei, dass die Volksrepublik China für ein offenes und transparentes Handelssystem stehe. Sein Land sei auch in der Lage, Antworten auf Flüchtlingsbewegungen, Instabilitäten und kriegerische Auseinandersetzungen zu geben.

Doch hinter den Worten des chinesichen Staatsprädistenten steckt mehr als eine reine PR-Kampagne mit dem Ziel, als „Anti-Trump“ ausländische Direktinvestoren in die Volksrepublik zu locken: Xi skizziert vielmehr eine kohärente handelspolitische Strategie: Seit 2013 bündelt die Initiative „One Belt, One Road“ die Maßnahmen Chinas, über den gesamten eurasischen Kontinent hinweg eine eigene Handelsinfrastruktur auf- und auszubauen. Das Engagement Pekings zeigt sich insbesondere in der Errichtung und dem Ausbau von Häfen, Schienennetzen, Tunneln, Kraftwerken und Staudämmen. Für weltweites Aufsehen sorgte 2009 die chinesische Übernahme eines Teils des griechischen Hafens Piräus, in welchem bis 2026 mehr als 500 Millionen Euro investiert werden sollen.

Ein LKW verlässt den Standort. Er symbolisiert die Supply Chain, die durch politische Risikodaten sicherer gemacht werden kann.

Schon heute wird ein beträchtlicher Teil des Welthandels über die Seewege Asiens abgewickelt. In Zukunft könnten auch Landwege über Chinas westliche Peripherie erschlossen werden. Schon jetzt wurden Aufträge in Höhe von 200 Mrd. US-Dollar für die Ausführung der Infrastrukturprojekte vergeben. Analysten sind überzeugt, dass sich die Summe in den kommenden zehn Jahren verfünffachen könnte – auf eine Billion US-Dollar.
 
Wird der, der die Straßen baut, auch die Bedingungen des Handels diktieren und neue Abhängigkeiten schaffen? Gerade die exportstarken deutschen Unternehmen können sich mit dieser Frage gar nicht früh genug befassen.

Mit dem Ausbau der lokalen Infrastruktur will China das Wohlstandsniveau der Westprovinzen dem der Küstenregionen angleichen und islamistisch-separatistischen Tendenzen vor Ort und in den Nachbarstaaten entgegenwirken. Neben der Uiguren-Provinz Xinjang und Tibet machen Peking auch die Spannungen in Afghanistan und Teilen Pakistans Sorgen. Die multiethnischen Staaten Zentralasiens sind ebenfalls von zahlreichen sozialen und politischen Konflikten betroffen, zum Teil auch hochgewaltsam und über Landesgrenzen hinweg destabilisierend. Im Einzugsbereich der Seidenstraße ist Stabilität also keinesfalls selbstverständlich. Das dritte Motiv ist strategischer Natur: China sucht nach Mitteln und – im wahrsten Sinne des Wortes - Wegen, um möglichen Blockaden durch geopolitische Rivalen umgehen zu können und nutzt die Initiative auch dazu, um der handelspolitischen Dominanz der USA eigene Konzepte entgegenzustellen.

Ein Ausbau der zentralasiatischen Verkehrswege unter Chinas Ägide stellt jedoch die Automobilindustrie vor neue Chancen und Herausforderungen. CONIAS-Recherchen ergeben, dass von 91 Standorten in Asien 56 unmittelbar an den Landweg der Seidenstraße angeschlossen werden könnten. Ähnliches gilt für Europa: Hier könnten von 111 Standorten 98 in das Transportnetz integriert werden.

Im folgenden Schlaglicht wird die Sicherheitslage einzelner interessanter Regionen beleuchtet.

Ürümqi (Volksrepublik China)

Die Sicherheitslage für den Produktionsstandort Ürümqi lässt sich trotz des weltweit diskutierten Uiguren-Konflikts als sehr solide definieren. In den letzten zwei Jahren hat sich die Sicherheitslage merklich verbessert und auch das wirtschaftliche Umfeld scheint stabil. Obwohl die Region nach wie vor politischen Spannungen ausgesetzt ist, lassen sich internationale Produzenten hier nieder. So verfügt, als einziger deutscher Autobauer mit einem Standort in Zentralasien, VW hier über ein Werk. Aufgrund der Pläne Chinas für seine Seidenstraße ist davon auszugehen, dass die Millionenstadt Ürümqi in Zukunft von weiteren Investitionen profitieren und seine Bedeutung als Logistik- und Handelszentrum in Zentralasien aufrechterhalten und weiter ausbauen kann.

Öskemen (Kasachstan)

Die Großstadt Öskemen ist auch Hauptstadt der dortigen Provinz Ostkasachstan. Die Stadt liegt im Nordosten des Landes und weist ein sehr stabiles Sicherheitsumfeld auf. Die Stadt ist durch Eisenbahnstrecken und Fernstraßen an das überregionale Verkehrsnetz angeschlossen. Der tschechische Autobauer Skoda und General Motors sind in Öskemen aktiv. Im Zuge der Seidenstraßeninitiative rechnet man mit zusätzlichen Investitionen insbesondere in die Fernstraßen und Zugstrecken in Richtung China und Russland. Nicht zuletzt verfügt die Stadt aufgrund ihrer zahlreichen Industrieanlagen über eine qualifizierte Arbeitnehmerbasis. Die Interdependenzen zwischen China und Kasachstan könnten in Zukunft noch zunehmen: Kasachstan verfügt sowohl über beachtliche Reserven an Öl- und Erdgas im kaspischen Raum, als auch über Grundrohstoffe, die für Chinas Industrien hochinteressant sind. In der Grenzregion zu China wurde eine Freihandelszone errichtet, auf chinesischer Seite wird eine Stadt für bis zu 100.000 Einwohner gebaut. Während die Chinesen vor allem Chancen in der Zusammenarbeit sehen, fürchten viele Kasachen, dass die Investitionen zu einem Ausverkauf ihres Landes führen könnten.

Asaka (Usbekistan)

Die seit den 1990er Jahren stark wachsende Stadt Asaka befindet sich im demographischen Zentrum Zentralasiens: dem Fergana-Tal. Die Sicherheitslage der Region ist stabil bis gut und sowohl der regionale Absatzmarkt als auch die Exportwege nach Osten (China) und Nordwesten (Europa) machen Asaka für ausländische Investoren attraktiv. Der usbekische Teil des Fergana-Tals ist mittlerweile durch den – von China finanzierten – 19,2 km langen Kamchiq-Eisenbahntunnel gut an das restliche Usbekistan, inklusive der Hauptstadt Taschkent, angeschlossen. In Asaka befindet sich der Standort des Unternehmens GM Uzbekistan, ein Joint Venture zwischen General Motors und einem usbekischen Staatsunternehmen. Produziert werden diverse Chevrolet-Modelle der Mittelklasse. Das Werk gilt als erstes seiner Art in Zentralasien. Um die lokale Fertigungstiefe auszubauen, forciert die usbekische Regierung die Ansiedlung einer Zulieferindustrie. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist das neu gegründete Unternehmen GM Powertrain Usbekistan. Insgesamt ist mit einer Aufwertung der Region durch Projekte der Seidenstraßeninitiative zu rechnen.

Lahore (Pakistan)

Lahore in Pakistan ist das wirtschaftliche Zentrum des nördlichen Landesteils. Die Sicherheitslage der Region ist angespannt und hat sich im Vergleich zu 2017 verschlechtert. Dieser Umstand lässt sich neben den turbulenten indisch-pakistanischen Beziehungen auch auf anhaltende innergesellschaftliche Spannungen des Landes - und auf massive Verkehrsprobleme - zurückführen. Zwar könnte sich die Situation mithilfe chinesischer Investitionen im Rahmen der Seidenstraßeninitiative entspannen, doch auch sie werden gesellschaftliche Konflikte oder die Rivalität mit Indien nicht vollends lösen können. Längerfristig könnten sich für den Standort Lahore allerdings Chancen ergeben; etwa wenn die Projekte der Seidenstraße zu einem spürbaren Wirtschaftswachstum und steigendem Wohlstand der einheimischen Bevölkerung beitragen. Dazu könnte auch die geplante 1100 km lange Schnellstraße zwischen Lahore und Karatchi mit Brücken über den Indus beitragen. Auch der Ausbau des Karakorum-Highways nach Xinjiang, inklusive mehrerer Tunnel, ist Teil des Maßnahmenpakets. Durch das dadurch angestoßene Wirtschaftswachstum könnte sich Pakistan mit seinen über 200 Millionen Einwohnern zu einem attraktiven Absatz- und Ergänzungsmarkt entwickeln. In Lahore verfügt Honda über Produktionsstandorte.

Karatchi (Pakistan)

Karatchi an der Mündung des Indus ist mit knapp 17 Millionen Einwohnern die größte Stadt Pakistans. Auch hier hat sich die Situation im Vergleich zu 2017 spürbar verschlechtert. Zu den Problemen und Risiken, die denen von Lahore stark ähneln, kommen hier jedoch noch ethnische Konflikte - etwa zwischen urdu- und sindhi-sprechenden Bevölkerungsteilen. Bei Investoren beliebt ist Karatchi jedoch aufgrund seiner geographisch günstigen Lage am Indischen Ozean. Fast der gesamte Seehandel Pakistans wird über Karatchi abgewickelt. Die Stadt ist ein zentrales Logistikdrehkreuz, schließlich wird fast der gesamte Seehandel Pakistans über den örtlichen Hafen abgewickelt. Könnte dieser demnächst mit Chinas Tiefwasserhafen Gwadar in Konkurrenz geraten? Karatchi verfügt allerdings auch über ein gut ausgebautes Straßennetz und einen modernen Flughafen. Auch dies ist ein Grund, warum sich dort seit 1990 die Indus Motors Company niedergelassen hat, ein Joint Venture mit knapp 5000 Mitarbeitern zwischen dem pakistanischen Mischkonzern House of Habib und dem japanischen Autobauer Toyota Motors.


Fazit

Chinas neue Seidenstraße wächst, die Regionen verknüpfen sich untereinander und dies kann der Automobil- und Zulieferindustrie in Zentralasien zu neuen Wachstumsimpulsen verhelfen. Doch ist sie auch ein nachhaltigen Stabilisierungs- oder gar Befriedungsprojekt? Drohen an ihren Wegmarken neue Verteilungskämpfe im Wettbewerb und ausländische Investoren? Durch die bereits umgesetzten und geplanten Projekte werden sich die Produktionsvolumina und die Import-/Export-Optionen der betreffenden Volkswirtschaften erweitern. Allerdings stellt sich je nach Region ein recht differenziertes Bild der Situation dar: Während drei der ausgewählten Standorte über ein stabiles Umfeld verfügen, deren Attraktivität durch die Seidenstraße noch zunehmen könnte, ist die Situation beispielsweise in Pakistan gerade politisch als angespannt zu bewerten, und das mit wachsendem Ausmaß, wie ein Vergleich der SURE-Werte von 2017 und 2019 zeigt. Investoren, die den Sprung auf die Seidenstraße wagen wollen, sollten diese Risiken beim Markteintritt berücksichtigen.


Ausgewählte Standorte im Überblick

Standort  SURE 2017 Q.1 SURE 2019 Q.1 Wandel der Resilienz
Ürümqi   5,6 5,9
Öskemen   8,3 8,2
Asaka   8,3 8,2
Lahore   4,1 3,0
Karatchi   4,2 3,7