Es ist ein Paradoxon: Politische Risiken, darunter Kriege und politische Gewalt, gelten als die größten Risikofaktoren für Business-Manager[1]. Lieferketten können unterbrochen und Lagerbestände zerstört werden, Absatzmärkte können wegbrechen. Dennoch wird dem Bereich der Früherkennung von und -warnung vor politischen Krisen in international agierenden Unternehmen nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Es wird oftmals angenommen, Krisen und Kriege seien zu komplex, um diese effektiv vorhersagen zu können - doch der wissenschaftlich fundierte CONIAS Ansatz wurde genau zu diesem Zweck entwickelt. Eine der verwendeten grundlegenden Methoden, um die vielschichtigen Risikolagen zu verstehen und schneller klassifizieren zu können, ist die Muster-Erkennung (pattern recognition)[2].
Die Muster-Erkennung ist aus generellem menschlichem Vorgehen abgeleitet
Für das komplexe Feld der politischen Risiken ist die Muster-Erkennung deshalb so gut geeignet, weil sie sehr stark dem generellen menschlichen Vorgehen entspricht. Ein Beispiel hierfür ist das folgende Szenario: Zwei Personen, 20 und 50 Jahre alt, beginnen am selben Tag ihre neue Stelle in einem kleinen Unternehmen mit 10 Mitarbeitern. Während die jüngere Person die neue Situation eher still und zurückhaltend auf sich wirken lässt, eher defensiv agiert und lieber zuhört, als selbst zu sprechen, profitiert die ältere Person von ihrer langjährigen Berufserfahrung und vielen Stellenwechseln. Sie hat diese Situation schon oft erlebt und kann deshalb Personen, die ihr in der neuen Situation begegnen, besser und schneller einschätzen. Sie vergleicht ihr Verhalten, ihre Körpersprache, den Klang ihrer Stimmen aber auch ihre Positionen mit Personen, die sie an früheren ersten Arbeitstagen kennengelernt hat. Hierbei erkennt die ältere Person Muster, die ihr Orientierung in der neuen Situation geben und leitet daraus Schlussfolgerungen für ihr Verhalten ab.
Die MBI CONIAS Datenbank erfasst auch nicht-gewaltsame Frühphasen und weitere Konflikte
Menschen bedienen sich der Muster-Erkennung - ganz gleich ob über eigenes Erleben oder über Erfahrung, die durch Erzählen bzw. Lesen erworben wurde - und orientieren sich somit in neuen Situationen. Diesem Gedanken ist auch der CONIAS Ansatz und die CONIAS Datenbank verpflichtet. Anders als herkömmliche Konfliktdatenbanken, die nur Kriege oder gewaltsame Konfliktphasen erfassen, werden in der CONIAS Datenbank auch die nicht-gewaltsamen Frühphasen dieser späteren Kriege verzeichnet[3]. Darüber hinaus - und das macht den CONIAS Ansatz so besonders - werden auch weitere Konflikte, die ähnlich beginnen wie spätere Kriege, letztlich aber einen friedlichen Verlauf nehmen, erfasst. Nur so ist es möglich, Aussagen über die Anfälligkeit bestimmter Konfliktkonstellationen zu treffen. Das lässt sich wie folgt erläutern: Es ist zwar richtig, dass ein Großteil der wenigen zwischenstaatlichen Kriege seit 1945 um Territorium geführt wurde. Beispiele hierfür sind der Überfall des Irak auf Kuwait (1991) oder der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Nagorny Karabach (2020). Dennoch wäre es umgekehrt falsch zu sagen, dass Territorial- oder Grenzstreitigkeiten besonders häufig zu Krieg führen. Derzeit gibt es etwa 120 verzeichnete Grenzstreitigkeiten zwischen Staaten, die fast alle ohne Gewalt nur auf diplomatischer Ebene ausgetragen werden. Andere Quellen sprechen von einer noch höheren Anzahl ungeklärter Grenzverläufe[4].
Nur eine umfassende Datensammlung erlaubt es, das Risikopotential von Grenzstreitigkeiten richtig einzuschätzen
Insgesamt umfasst die CONIAS Konfliktdatenbank Informationen über den Verlauf von mehr als 1.900 inner- und zwischenstaatlichen, gewaltsamen und gewaltlosen Konflikten seit 1945. Erfasst werden pro Konflikt und beteiligtem Akteur eine Vielzahl von Indikatoren, die alle dynamischen Veränderungen im Konfliktaustrag, aber auch im sozio-ökonomischen Umfeld abbilden[5]. So stellt die CONIAS Datenbank Millionen von Datenpunkten zur Verfügung, die statistischen Aufschluss über das globale Konfliktverhalten liefern. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der empirischen Konfliktforschung[6] konnte durch CONIAS ebenfalls bestätigt werden: Demokratien führen keine Kriege gegen andere Demokratien. Dieses „Gesetz“ vom demokratischen Frieden haben wir in unserem Denken schon so weit integriert, dass beispielsweise selbst die stärksten Tiefschläge in den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA bei den größten Pessimisten dennoch keine Kriegsangst hervorriefen.
Insbesondere in Bereichen, die von anderen Konfliktdatenbanken nicht ausgeleuchtet werden, zeigt die CONIAS Datenbank wesentlich mehr Orientierungspunkte
Die Datenbank hat beispielsweise erfasst, dass kulturell geprägte Konflikte seit dem Ende des Kalten Krieges 1990 und insbesondere nach dem 11. September 2001 deutlich an Bedeutung gewonnen haben[7]. Gleichzeitig zeigt die CONIAS Datenbank, dass es über einen längeren Zeitraum betrachtet nicht die Anzahl unterschiedlicher Religionen in einem Land ist, die dieses für innerstaatliche Gewalt anfällig macht, sondern die Anzahl der unterschiedlichen gesprochenen Sprachen im Land [8].
Die CONIAS Konfliktdatenbank wird kontinuierlich gepflegt und das aktuelle Konfliktgeschehen weiter erfasst. Jedes Quartal wächst das Wissen über die Entwicklung der Konflikte in der Welt um mehrere zehntausend Datenpunkte. Aktuell arbeitet das CONIAS Team daran, die Zusammenhänge zwischen politischen Konflikten, der Verletzung von Menschenrechten und Schaden bzw. Zerstörung an den natürlichen Lebensgrundlagen besser verständlich zu machen. Das neue Lieferkettengesetz, aber auch ein immer stärker wachsendes Verantwortungsgefühl für Menschenrechte und Umwelt verlangt von Unternehmen und letztlich jedem Einzelnen, hierbei sorgfältig zu handeln. Gerne liefern wir Ihnen hier nicht nur Orientierungspunkte, sondern unterstützen Sie mit unserem umfangreichen Know-how und jahrelanger Expertise. Bei Interesse steht Ihnen unser Sales-Team gerne zur Verfügung.
Über den Autor:
Dr. Nicolas Schwank
Chief Data Scientist Political Risk
Michael Bauer International GmbH
Verweise:
[1] Allianz (Hrsg): Allianz Risk Barometer, verschiedene Jahrgänge. Zuletzt 2021
[2] Trappl, Robert (Hrsg.) (2006): Programming for peace. Computer-aided methods for international conflict resolution and prevention. Dordrecht: Springer. Und: Schrodt, Philip A. (2000): Pattern Recognition of International Crises Using Hidden Markov Models. In: Diana Richards (Hrsg.): Political complexity. Nonlinear models of politics. Ann Arbor: Univ. of Michigan Press, S. 296.
[3] Schwank, Nicolas (2012): Konflikte, Krisen, Kriege. Die Entwicklungsdynamiken politischer Konflikte seit 1945. Baden-Baden: Nomos (Weltregionen im Wandel, 9). Und: Schwank, Nicolas, et al. „Der Heidelberger Ansatz Der Konfliktdatenerfassung.“ Zeitschrift Für Friedens- Und Konfliktforschung, Vol. 2, No. 1, 2013, S. 32–63.
[4] Vgl. https://www.cia.gov/the-world-factbook
[5] Schwank, Nicolas (2012): Konflikte, Krisen, Kriege. A.a.O.
[6] Small, Melvin; Singer, J. David (1976): The war-proneness of democratic regimes, 1816-1965. In: The Jerusalem journal of international relations. – 1 (4), S. 50–69.
[7] Croissant, Aurel (2009) et al.: Kulturelle Konflikte seit 1945. Die kulturellen Dimensionen des globalen Konfliktgeschehens. 1. Aufl. Baden-Baden: Nomos (Weltregionen im Wandel, 6). Stiftung, Bertelsmann (2010): Culture and Conflict in Global Perspective. The Cultural Dimensions of Global Conflicts 1945 to 2007. Guetersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.
[8] Ebda.