Tschad ist eines der einkommensschwächsten Länder der Welt und belegte im Human Development Index 2020 Platz 187 von 189 Ländern. 42 %[1] der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze und nur einer von fünf Erwachsenen kann lesen und schreiben. Diese prekäre soziale Situation beruht auf politischer Korruption und schwachen staatlichen Institutionen, aber auch auf gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Stämmen.
Unterdrückung, Manipulation, Gewalt und extreme Armut statt Stabilität und Wohlstand
Im Dezember 1990 führte der damalige Präsident Idriss Déby Itno einen Staatsstreich gegen das Regime von Hissene Habré, der ihn an die Spitze des zentralafrikanischen Staates brachte. Dieses Ereignis ebnete jedoch nicht den Weg zu Stabilität und Wohlstand. Stattdessen war die Regierungszeit Débys durch Unterdrückung jeglicher Opposition, Manipulation des politischen Systems – z. B. durch Änderung der Verfassung und Abschaffung der Amtszeitbeschränkungen des Präsidenten –, Gewalt, Ermordungen und extreme Armut gekennzeichnet.[2] Dieses Konglomerat aus politischem Machtmissbrauch und Nachlässigkeit führte zur Gründung mehrerer Rebellengruppen. Die bekannteste ist dabei die in Libyen ansässige Rebellengruppe Front Für Wandel und Eintracht im Tschad (FACT)[3], deren einziges Ziel es war, Déby zu stürzen. In den Jahren 2006, 2008 und erneut 2019 sah sich Déby damit konfrontiert, dass verschiedene Rebellengruppen in die Hauptstadt Ndjamena vordrangen und versuchten, ihn zu stürzen. Nach mehreren erfolglosen Versuchen gelang sein Sturz schließlich im April 2021, als bekannt wurde, dass er seine sechste Amtszeit anstrebte. Kämpfer der FACT überquerten die Grenze von Libyen und griffen eine Militärgarnison an. Idriss Déby schloss sich nach Regierungsangaben seiner Armee an der Frontlinie an und wurde bei den Kämpfen getötet, kurz nachdem er zum Präsidenten des Landes erklärt wurde.
Illegale Machtübernahme führt zu erneutem Aufruhr
Nach dem Tod von Idriss Déby wurde sein Sohn Mahamat Idriss Déby Itno am 20. April 2021 an der Spitze eines neu gegründeten Militärrats zum de facto Übergangspräsidenten ernannt. Dieser löste das Parlament auf und versprach freie und demokratische Wahlen innerhalb von 18 Monaten, die bis heute nicht stattgefunden haben. Die Militärjunta sieht sich mit einer politischen und zivilen Opposition konfrontiert. Demonstranten füllten die Straßen von Ndjamena und anderen Städten und prangerten die illegale Machtübernahme an. Der Militärrat reagierte mit Schüssen auf die Demonstranten, was zu mehreren Toten und Hunderten von Verhaftungen führte – zuletzt im Oktober 2022. Die FACT hat sich ebenfalls gegen das neue Staatsoberhaupt positioniert und erklärt, dass "Tschad keine Monarchie ist und es in unserem Land keine dynastische Machtübergabe geben kann".[4] Dennoch hat Frankreich, die ehemalige Kolonialmacht Tschads, diese Machtergreifung unterstützt.[5] Tschad ist für die französische Armee von zentraler Bedeutung, nicht nur wegen seiner geopolitischen Lage, sondern vor allem, weil er die Basis für die Operation Barkhane im Kampf gegen den islamischen Terrorismus darstellt. Macron hat den Staatsstreich unterstützt, um den notwendigen Status quo für die militärische Intervention in der Sahelzone aufrechtzuerhalten.
Friedensgespräche zwischen Militärregierung und Oppositionsgruppen
Im April 2022 rief Mahamat Déby zu Friedensgesprächen in Katar auf, die das Ziel hatten, eine zivil geführte Regierung zu bilden.[6] An diesem nationalen Dialog nahmen Delegationen von insgesamt 47 Oppositions- und Rebellengruppen teil[7], darunter auch die FACT. Das Ergebnis der Friedensgespräche war ein am 8. August unterzeichnetes Abkommen zwischen der Militärregierung des Landes und 42 Oppositionsgruppen. In dem Abkommen erklärten sich diese bereit, an umfassenderen Gesprächen in Ndjamena teilzunehmen, um die Rahmenbedingungen für die von Déby für Oktober versprochenen Wahlen festzulegen. Die FACT verweigerte jedoch die Unterzeichnung des Abkommens mit der Begründung, dass ihren Forderungen, wie z. B. der Freilassung von Gefangenen, nicht nachgekommen wurde.[8] Gleichzeitig jedoch signalisierte die FACT weitere Gesprächsbereitschaft.
Die politische Stabilität im Tschad hängt von der Schaffung eines integrativen und demokratischen Rahmens ab. Der Tod von Déby hätte ein Katalysator für die Umstrukturierung der politischen Arena sein können, der den Zyklus von Instabilität und Aufruhr unterbricht. Wie groß die Wahrscheinlichkeit eines politischen Wandels und die Chance für einen dauerhaften Frieden ist, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es gelingt, die FACT nicht doch noch in diesen Friedensprozess einzugliedern.
Analysen der CONIAS Konfliktdatenbank und deren Vorversionen zeigen deutlich, dass Friedensverträge nur dann eine Chance für eine dauerhafte Umsetzung haben, wenn alle maßgeblichen Konfliktparteien am gleichen Strang ziehen.[9] Eine einzige Ausnahme kann zum Scheitern auch der besten und ausgewogensten Verträge führen. Für weitere Informationen zu CONIAS Risk Intelligence kontaktieren Sie gerne unser Experten-Team.
Über die Autorin:
Konstantina Chalkiopoulou
CONIAS Risk Intelligence Team
Michael Bauer International GmbH
Quellenangaben:
[1] https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/chad; https://www.wfp.org/countries/chad
[2] https://africacenter.org/spotlight/chads-ongoing-instability-the-legacy-of-idriss-deby/
[3] Im Original: Front pour l’alternance et la concorde au Tchad
[4] https://www.aljazeera.com/news/2021/4/21/who-are-chads-fact-rebels-and-what-are-their-goals
[5] https://internationalviewpoint.org/spip.php?article7637
[6] https://www.france24.com/en/live-news/20220808-chad-military-government-signs-deal-to-launch-peace-talks
[7] https://www.dw.com/de/tschad-regierung-und-rebellen-unterzeichnen-friedensabkommen/a-62742761
[8] https://www.reuters.com/world/africa/chad-rebels-sign-peace-deal-2022-08-08/
[9] Schwank, Nicolas und Rohloff, Christoph (2001): War is over – conflict continues? Conditions for stable conflict outcomes. Uppsala Conflict Data Conference. Uppsala, pp. 1-19; Pfetsch, Frank R. (2006): Verhandeln in Konflikten Grundlagen - Theorie - Praxis, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften.