Bekannt sind religiöse Konflikte heute beispielsweise durch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen in Nigeria oder dem Bestreben von Al-Qaida und dem Islamischen Staat, ein Kalifat zu errichten. Demgegenüber sind sogenannte Kirchenkonflikte, die zwischen Institutionen gleicher und unterschiedlicher Konfessionen oder zwischen Konfessionsgemeinschaften und Staaten ausgetragen werden, im öffentlichen Diskurs kaum präsent.
Historischer Hintergrund
Eine spezielle Art des Kirchenkonfliktes ist der infolge der Abspaltung Montenegros von der Union mit Serbien im Jahr 2006 entflammte Konflikt zwischen der serbisch-orthodoxen Kirche in Montenegro und der Regierung Montenegros über die Zugehörigkeit der kirchlichen Besitztümer.[1] Zurückzuführen ist dieser auf den Untergang des Königreiches Montenegro im Jahr 1918 und dessen Eingliederung in das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, dem späteren Jugoslawien.[2] 2019 verabschiedete die Regierung zur Regelung der Besitzstreitigkeiten die Law on Freedom of Religion or Belief and the Legal Status of Religious Communities, die besagt, dass Konfessionsgemeinschaften Eigentumsnachweise für den Zeitraum vor 1918 vorlegen müssen, da das Staatseigentum sonst unrechtmäßig angeeignet wurde.[3] Da die montenegrische Regierung damit de-facto versucht, den Einfluss der serbisch-orthodoxen Kirche einzudämmen und das Unabhängigkeitsstreben der 1993 neu gegründeten montenegrisch-orthodoxen Kirche unterstützt, kam es von Dezember 2019 bis Mitte 2020 landesweit zu Anti-Regierungsprotesten, die teils gewaltsam ausgetragen wurden.[4]
Gewaltsame Zusammenstöße 2021
Erneut zu Gewalt kam es am 5. September 2021, als Demonstranten mit einer Straßenblockade versuchten, die Einführung Joanikije II als neues Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche in Montenegro in Certinje, einer für die Unabhängigkeit Montenegros symbolträchtigen Stadt, zu verhindern. Grund dafür war, dass Joanikije II eben diese Unabhängigkeit Montenegros nicht anerkennt. In Zusammenstößen wurden 40 Zivilisten und 20 Polizisten verletzt.[5] Zudem warfen Kritiker dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic vor, Einfluss auf die Wahl Joanikije’s II genommen zu haben und dadurch die Unabhängigkeit Montenegros untergraben zu wollen.[6]
Da bisher keine Einigung über die Besitzfrage der Kirchengüter erzielt werden konnte, wird Montenegro für beide Kirchen weiter von großer Bedeutung sein: Für die serbisch-orthodoxe Kirche, um den Einfluss im ehemalig serbischen Staatsgebiet nicht zu verlieren, und für die montenegrisch-orthodoxe Kirche, um das Bestreben nach einer eigenständigen, anerkannten Kirche auszubauen. Zudem wird der Umgang Montenegros mit der serbischen Minderheit sowie der Einfluss des serbischen Präsidenten Vucic auf die serbisch-orthodoxe Kirche in Montenegro entscheidend dafür sein, ob der zwischenstaatliche Machtkonflikt zwischen Montenegro und Serbien erneut gewaltsame Ausmaße annehmen wird.
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Der vorgestellte Konflikt zeigt, dass konfessionelle Konflikte nicht immer auf die Verbreitung und Ausübung von Religionen zu beschränken sind, sondern auch territorial begrenzte Streitigkeiten miteinschließen können. Gleichermaßen verdeutlicht er, dass sich die Integration nicht-gewaltsamer Konflikte in den MBI CONIAS Ansatz als äußerst relevant erweist, da sie das Potential haben, sich jederzeit zu gewaltsamen Konflikten zu entwickeln.
Über die Autorin:
Sarah Pauly
CONIAS Risk Intelligence
Michael Bauer International GmbH
Quellenangaben:
[1] https://balkaninsight.com/2015/06/04/serbian-church-demands-property-rights-in-montenegro/ [12.10.2021]
[2] https://balkaninsight.com/2019/06/07/serbian-bishop-accuses-montenegro-of-eying-churchs-property/ [18.10.2021]
[3] https://balkaninsight.com/2019/12/27/montenegrin-parliament-adopts-religion-law-amid-furious-protests/ [19.10.2021]
[4] https://balkaninsight.com/2020/03/12/faces-from-montenegros-church-protests/ [18.10.2021]
[5] https://www.politico.eu/article/montenegro-violent-clashes-church-independence/ [08.10.2021]
[6] https://emerging-europe.com/news/montenegro-is-about-to-inaugurate-a-new-bishop-who-denies-the-countrys-right-to-exist/ [08.10.2021]