Neue Konflikte trotz Unabhängigkeit
Nachdem Nigeria im Oktober 1960 die Unabhängigkeit von Großbritannien erlangt hatte, galt für das Land wie für viele ehemalige Kolonialstaaten: Ein Ende der Kolonialherrschaft bedeutete nicht das Ende von Unterdrückung und Ausgrenzung, sondern lediglich den Beginn neuer Konflikte. Eine schwache Staatsführung, deren Politik zu „struktureller Ungleichheit”, Massenarmut und Arbeitslosigkeit führte, schuf letztendlich die Grundlage für religiöse, ethnische und übergemeindliche Konflikte[1]/[2], welche die weiterhin andauernde Phase der staatlichen Neufindung charakterisieren. Heute gleicht das bevölkerungsreichste Land Afrikas, welches an Benin, Kamerun, Niger und den Tschad grenzt, einem Flickenteppich mit einer immer unübersichtlicher werdenden Masse an politischen Akteuren.
Relevanz übergemeindlicher Gewalt in Nigeria
Unter den 23 inner-nigerianischen Konflikten, die wir aktuell bei MBI CONIAS beobachten, sind Boko Haram, die Westafrika-Provinz des Islamischen Staates (ISWAP) und zunehmend auch die Fulani-Hirten die wohl in den Medien präsentesten Gewaltakteure. Fernab der Weltöffentlichkeit wird die übergemeindliche Gewalt dagegen vollkommen unterschätzt. Übergemeindliche Gewalt umfasst gewaltsame Konflikte, die zwischen Bewohnern zweier Dörfer oder Gemeinden - Hauptakteure sind meist kommunale Milizen - ausgetragen werden.[3] Die häufigsten Konfliktauslöser sind Land- sowie lokale Machtstreitigkeiten, direkte und grundlose Angriffe, (versuchte) Entführungen sowie Plünderungen. In diesem Kontext kommt es auch häufig zu Gefechten mit staatlichen Sicherheitskräften und Militärs, wenn diese intervenieren, um Entführungen oder eine Ausdehnung der operativen Tätigkeiten der Gewaltakteure zu verhindern. Während gewaltsame Maßnahmen bis 2019 nur vereinzelt beobachtet werden konnten, ist seit März 2020 landesweit - mit Ausnahme der Bundesstaaten Kano und Ondo - eine zunehmende Gewaltbereitschaft beobachten. Am stärksten von der Gewalt betroffen sind die Bundesstaaten Benue, Kaduna, Katsina, Niger, Sokoto, Taraba und Zamfara.
Krieg in Kaduna und Zamfara
Ausgehend von den MBI CONIAS Indikatoren stellt die übergemeindliche Gewalt für die meisten betroffenen Staaten eine gewaltsame Krise dar. In Kaduna und Zamfara, die im Nordwesten Nigerias aneinandergrenzen[4], versucht die Regierung die Zunahme an Entführungen sowie eine Gewaltverbreitung seit September 2020 durch einen verstärkten Einsatz von Militärs und Kampfflugzeugen zu bekämpfen. Infolgedessen entwickelte sich die Krise zu einem (begrenzten) Krieg. Während die Aktivitäten der Kaduna-Milizen territorial begrenzt sind, fliehen Zamfara-Milizen in Reaktion auf eine gegen sie gestartete Militäroffensive[5] seit September 2021 in die angrenzenden Bundesstaaten Katsina, Niger und Sokoto.
Der vorgestellte Konflikt zeigt, dass die nigerianische Regierung eine entscheidende Rolle bei der künftigen Entwicklung des politischen Risikos einnehmen wird. Zum einen, da Nigeria aufgrund seiner schwachen Staatlichkeit bisher nicht über ausreichend Durchsetzungskraft verfügt, um die innerstaatliche Gewalt signifikant zu verringern. Zum anderen verdeutlicht der Vorfall in Zamfara, dass großangelegte Militäroperationen die Wahrscheinlichkeit einer nicht nur innerstaatlich, sondern auch zwischenstaatlich übergreifenden Ausdehnung von Gewalt erhöhen. Für weitere Informationen, wie Sie unser Wissen nutzen können, um Ihr Unternehmen bestmöglich auf verschiedene politische Risiken vorzubereiten und abzusichern, kontaktieren Sie bitte unser Sales-Team.
Ein globaler Ländervergleich zeigt, dass übergemeindliche Gewalt keinesfalls ein nigerianisches Einzelphänomen ist. In zahlreichen Ländern Afrikas sowie Südasiens besteht diese Art von innerstaatlichen Konflikten bereits seit Jahrzehnten. Vereinzelt sind auch Länderstreitigkeiten in Peru vorzufinden. Von hoher, nicht zu unterschätzender Relevanz ist die übergemeindliche Gewalt, da mit ihr das Risiko eines sich innerstaatlich ausdehnenden Machtverlustes der staatlichen Führung verbunden ist.
Mit einer differenzierten Analyse von Akteuren und ihren (nicht-) gewaltsamen Handlungen, können wir künftige Konfliktdynamiken einschätzen und unsere Kunden bereits frühzeitig über mögliche Risiken informieren.
Über die Autorin:
Sarah Pauly
CONIAS Risk Intelligence
Michael Bauer International GmbH
Quellenangaben:
[1] Salawu, B. (2010): Ethno-Religious Conflicts in Nigeria: Causal Analysis and Proposals for New Management Strategies, in: European Journal of Social Sciences, Vol. 13, No. 3, S. 348, [online] https://gisf.ngo/wp-content/uploads/2014/09/0071-Salawu-2010-Nigeria-ethno-religious-conflict.pdf [22.11.2021].
[2] Okoi, Ibiang O. (2020): Impact Assessment of Ethno-Religious Conflicts on National Integration in Nigeria since Indepence, in: GNOSI: An Interdisciplinary Journal of Human Theory and Praxis, Vol. 3, No. 3, S. 174, [online] http://gnosijournal.com/index.php/gnosi/article/view/142/161 [22.11.2021].
[3] Brosché, Johan (2015): Causes of Communal Conflicts – Government Bias, Elites, and Conditions for Cooperation, Stockholm: The Expert Group for Aid Studies, S. 4, [online] https://uu.diva-portal.org/smash/get/diva2:899332/FULLTEXT01.pdf [22.11.2021].
[4] https://www.actualitix.com/wp-content/uploads/2018/01/carte-regions-nigeria-1024x785.jpg [22.11.2021].
[5] https://pmnewsnigeria.com/2021/09/06/war-in-zamfara-nigeria-mounts-air-land-offensive-against-bandits-many-killed/ [26.11.2021].