Besorgniserregende Signale sind zu erkennen: Die Truppenkonzentrationen der russischen Föderation an der ukrainischen Grenze sind ungewöhnlich und gleichzeitig angsterregend. Die Parallelen zum letzten Kriegsausbruch sind deutlich. Zudem sind die Beziehungen zwischen beiden Staaten seit dem von Russland gesteuerten Krieg in der ukrainischen Donbass-Region und der Besetzung der Krim durch russische Soldaten so schlecht wie keine zweite zwischen anderen europäischen Staaten.
Besteht die Gefahr eines Krieges zwischen Russland und der Ukraine?
Insgesamt ist die Lage als sehr ernst zu bezeichnen und vermutlich ist die Kritik aus der Ukraine und anderen östlichen NATO-Staaten berechtigt, dass Deutschland und andere westliche Staaten die Lage nicht in ihrer Tiefe und Bedrohlichkeit begreifen. Auch Auswertungen aus unserer MBI CONIAS Konfliktdatenbank, in der der Verlauf von mehr als 1.000 politischen Konflikten seit 1945 gespeichert ist, zeigen deutlich, dass in weit mehr als 50% aller verzeichneten Fälle auf solche Art von Truppenkonzentrationen Kriege oder andere hochgewaltsame militärische Auseinandersetzungen folgten. Besorgniserregend war zuletzt die in Russland durch die staatlich kontrollierten Medien verbreitete Meldung, die Ukraine plane Rückeroberungen. Aktionen wie diese bereiten die wichtige und von der russischen Regierung benötigte innerstaatliche Legitimation für einen weiteren Krieg gegen die Ukraine vor. Unternehmen ist in dieser angespannten Situation zu empfehlen, äußerst achtsam vorzugehen, vermeidbare Reisen in die Ukraine zu unterlassen und sich mit Notfallplänen auf eine Unterbrechung der ukrainischen Lieferkette vorzubereiten.
Warum ist diese Entwicklung gerade jetzt zu beobachten?
Zu einer Lage-Analyse gehört auch immer die Frage: Welche Bedeutung hat der Zeitpunkt der Aktion? In anderen Worten ausgedrückt: Warum erfolgt der Aufmarsch jetzt, warum nicht vor zwei Monaten, was hat sich zwischenzeitlich verändert? Mindestens zwei Antworten sind hier denkbar, eine untermauert die Bedrohlichkeit der Aktion, die andere könnte ein rationales Argument liefern, welches Hoffnung auf einen friedlichen Ausgang der Situation gibt. Kritisch zu sehen ist, dass Russland in den vergangenen Jahren in den umstrittenen Regionen der Ost-Ukraine in großem Umfang Pässe an die Bevölkerung ausgeben ließ. Schätzungen gehen von mindestens 400.000 neuen russischen Staatsbürgern aus. Diese könnten Russland nach eigenem Verständnis ein Argument liefern, diesen Bevölkerungsteil nun auch auf offiziell russischem Staatsgebiet schützen zu wollen.
Testet Russland den neuen US-Präsidenten?
Die zweite Sichtweise stammt eher aus den Tagen des Kalten Krieges, ist aber angesichts des aktuellen Zustands des internationalen Systems möglicherweise genau deshalb richtig: Russland testet den neuen US-amerikanischen Präsidenten, der noch keine 100 Tage im Amt ist. Seine Pläne für ein umfangreiches innerstaatliches Konjunkturprogramm, die Ankündigung des Rückzugs amerikanischer Soldaten aus Afghanistan und die durch COVID zusätzlich angespannte Haushaltssituation machen deutlich, dass er kein Interesse an weiteren internationalen militärischen Engagements haben sollte. Joe Biden muss nun aber zeigen, wie er auf die Provokationen aus Russland reagieren wird. Es könnte die Ouvertüre für die US-amerikanischen und russischen Beziehungen für die nächsten Jahre sein. Es scheint klar, dass US-Präsident Biden genau so wenig wie US-Präsident Obama während der vorangegangenen Krise 2014 für die Ukraine eine militärische Konfrontation eingehen will. In diesem Kontext muss er deutlich machen, dass die USA ein ähnliches Vorgehen wie 2014 nicht akzeptieren werden. Nur wenn Biden jetzt schnell und entschieden handelt, wenn er glaubhaft vermittelt, dass die USA wieder verstärkt Interesse an der Rolle als Weltpolizist haben, kann der Aufmarsch Russlands unter mehr oder weniger glaubhaften Begründungen abgebrochen und die Truppen an der Grenze zur Ukraine reduziert werden. Andernfalls könnte Russland versuchen, das von den USA verursachte Machtvakuum zu nutzen – wie andere Regionalmächte auch. Eine weitere Schwächung des internationalen Systems mit vielen weiteren internationalen Krisen wäre die Folge.
Politische Risiken gelten bisher als komplex und wenig greifbar. Kontaktieren Sie unser Sales Team, um zu erfahren, wie MBI’s CONIAS Risk Intelligence Unternehmen dabei unterstützen kann, Risiken frühzeitig zu erkennen und gezielte Anpassungsstrategien zu entwickeln.