Das globale Wahljahr 2019 – wo dro­hen politische Risiken & Instabilität?

08.01.2019

Das vergangene Jahr war ein schwieriges für internationale Organisationen und Insti­tu­tio­nen des freien Welt­handels. Einige Beo­bach­ter befürchten sogar das Ende der liberalen Ordnung, schließlich stehen nicht nur die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union quasi permanent unter Druck: Die Diskussion über Einfuhrzölle und andere protektionistische Maßnahmen erhitzte die Gemüter ebenso stark wie die einseitigen Entscheidungen von US-Präsident Donald Trump, sich aus dem Pariser Klimaabkommen und dem Nukleardeal mit dem Iran zurückzuziehen. Ein Handelskrieg zwischen den Vereinigten Staaten und China scheint kaum noch abwendbar zu sein und auch in Osteuropa droht weiterhin die Gefahr einer militärischen Eskalation zwischen der NATO und Russland. Wie wird sich die weltweite Sicherheitslage in den kommenden Monaten entwickeln?

Als Indikator für politische Stabilität und Risiken sind Wahlen und vor allem Wahlkämpfe auch dann gut geeignet, wenn sie nicht unbedingt als allgemein, gleich und frei eingestuft werden können. In jungen Demokratien, die teils große soziale und politische Umbrüche erfahren haben, lösen Wahlen oftmals Konflikt und Gewalt aus, doch auch in einigen G20- und Industriestaaten drohen sie in diesem Jahr durchaus das lokale politische Risiko für internationale Unternehmen und das Supply-Chain-Management zu erhöhen.


Auf dem afrikanischen Kontinent bemühen sich die Präsidenten der beiden größten Volkswirtschaften, Nigeria und Südafrika, erneut um die Gunst der Wählerschaft. Sowohl Muhammadu Buhari als auch sein südafrikanischer Amtskollege Cyril Ramaphosa sind allerdings selbst in den eigenen Reihen stark umstritten. Buhari musste in den vergangenen Monaten den Abgang von fast 60 Parlamentariern seiner eigenen Partei hinnehmen, Ramaphosa hat erst im Dezember 2017 die Führung des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) übernommen, der sich von den Skandalen der Zuma-Ära immer noch nicht erholt hat. Gleichzeitig stehen beide Staaten vor erheblichen innenpolitischen Herausforderungen, darunter wirtschaftliche Rezession, Arbeitslosigkeit und Korruption. In Nigeria, wo politische Gewalt ohnehin an der Tagesordnung ist, könnten sinkende Ölpreise die Situation noch schwieriger machen.
Auch in der Demokratischen Republik Kongo droht im Kontext der jüngsten Präsidentschaftswahlen Stillstand, eine weitere Verlangsamung des Demokratisierungs­prozesses oder sogar neue Gewalt. Immer wieder neue Verzögerungen und Kontroversen hatten bei Oppositionellen und internationalen Beobachtern zuletzt die Sorge erhöht, dass Präsident Joseph Kabila seine Nachfolge am liebsten alleine regeln und Parteifreund Emmanuel Ramazani auch gegen den Wählerwillen ins Amt heben möchte. Verpasst die DR Kongo die historische Chance, erstmals einen Machtwechsel von einem gewählten Präsidenten zum anderen zu erleben?

Politische Risiken Tunesien Wahlen 2019

Selbst in Tunesien, wo Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Ende 2019 abgehalten werden sollen, sind ein Rückfall in die Instabilität von 2010/11 und neue politische Auseinandersetzungen nicht undenkbar: Erst kürzlich beendete Präsident Beji Caid Essebsi die Koalition seiner Nidaa Tounes Partei mit der Ennahda Partei – als Ursache gilt ein unerbittlicher innerparteilicher Machtkampf zwischen Parteichef (und Präsidentensohn) Hafedh Caid Essebsi und Premierminister Youssef Chahed, dessen Sparmaßnahmen bei der Bevölkerung immer wieder für Unmut sorgen.

Auch in Südasien stehen große Entscheidungen an. Die Wählerinnen und Wähler der 1,34 Milliarden umfassenden indischen Bevölkerung, aber auch die Wahlberechtigten in Indonesien mit 264 Millionen Einwohnern sind in den kommenden Monaten dazu aufgerufen, bei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ihre Stimme abzugeben. Können der indische Premierminister Narendra Modi und die Bharatiya Janata Party (BJP) ihren Erdrutschsieg von 2014 wiederholen? Oder machen die Wähler ihrer Frustration über unerfüllte Versprechen, z. B. bei der Gesundheitsreform, auch an der Wahlurne Luft? Großes angekündigt hat seit 2014 auch der amtierende Präsident Indonesiens, Joko Widodo, von einigen gar als „Barack Obama“ seines Heimatlandes bewundert. Sein Reformprogramm und Verbesserungen im Bereich der Menschenrechte kommen nur schleppend voran und der jüngste Tsunami, der über 30.000 Menschen vertrieben und fast 3.000 Häuser zerstört hat, stellt eine zusätzliche Herausforderung dar.

Ein anderes G20-Mitglied, Argentinien, das vom Internationalen Währungsfonds noch zu Jahresbeginn 2018 das größte Darlehen in der Geschichte des Fonds erhielt, ist derzeit von einer gefährlichen Mischung aus hoher Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Rezession und dramatischer Erosion des öffentlichen Vertrauens in die politischen Eliten betroffen. Auch hier stehen im Oktober 2019 Präsidentschaftswahlen an. Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Turbulenzen und der Tatsache, dass Amtsinhaber Mauricio Macri sein Versprechen einer Nullinflation nicht erfüllen konnte, rechnet sich dessen Vorgängerin Cristina Fernandez Kirchner Chancen auf eine Rückkehr ins Amt aus. Allerdings sehen viele Argentinier in ihr weiterhin die Hauptverursacherin der gegenwärtigen Situation und haben kaum Hoffnung auf Besserung.

In Europa stehen in den ersten Monaten entscheidende Weichenstellung an, die jede für sich großes Destabilisierungspotenzial bieten. Das Vereinigte Königreich steht kurz davor, die Europäische Union im März zu verlassen, bisher jedoch ohne einen kohärenten, durchdachten und vom Parlament ratifizierten Plan. Weder ein No-Deal-Szenario noch ein zweites Brexit-Referendum sind derzeit undenkbar.

Ebenfalls im Mai entscheiden sich die Wähler in der Ukraine für einen neuen Präsidenten oder be­stätigen Petro Poroshenko im Amt. Während strukturelle Themen wie Korruption und wirtschaftliche Unsicherheit ganz oben auch der Agenda der Wählerschaft stehen, unterstrich die jüngste Eskalation zwischen der ukrainischen und der russischen Marine im Asowschen Meer sowie die anschließende Ausrufung des Kriegsrechts in einigen Provinzen, die Bedeutung des Konflikts mit Moskau als größte Quelle der Unsicherheit im Land.

Political Risk of 2019 Elections in Ukraine

Bei den im Mai anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament könnten bisherige Randparteien populistischer und nationalistischer Couleur, die in mehreren europäischen Staaten seit einigen Jahren auf dem Vormarsch sind, in das Zentrum der europäischen Politik aufrücken. Der noch unbekannte Nachfolger Jean-Claude Junckers als Präsident der Europäischen Kommission wird mit einer Reihe äußerst schwieriger und komplexer Aufgaben konfrontiert sein werden, vom Rückbau rechtsstaatlicher Institutionen in Ungarn und Polen bis zum sich ständig zuspitzenden Haushaltsstreit mit Italien.


Die für das weltweite politische Risiko 2019 wichtigsten Wahlen sind erst für Ende des kommenden Jahres angesetzt. Und doch hat die Kampagne für die US-Präsidentschaftswahlen 2020 bereits mit den Kongresswahlen im November 2018 begonnen. Amtsinhaber Donald Trump hat es bisher nicht geschafft, Spekulationen und sogar Ermittlungen über mögliche Absprachen mit Russland während seines Wahlkampfs 2016 zu beenden. Häufige Kabinettsumbesetzungen und Rücktritte vermitteln eher den Eindruck seiner Regierung als Drehtür denn als verlässliche und berechenbare Partnerin. Seit Beginn diesen Jahres sieht er sich auch einer demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus gegenüber, die nicht bereit ist, seine "America First"-Politik zu unterstützen. Versuche Trumps, seine republikanische Wählerbasis mit Blick auf 2020 zu mobilisieren, könnten neue protektionistische Maßnahmen, eine härtere Haltung in der Einwanderungspolitik und eine weitere Verschlechterung der Beziehungen Washingtons mit seinen Verbündeten mit sich bringen. Zusätzlich zu großen Umwälzungen in Trumps sicherheitspolitischem Beraterstab erhöht ein „Shutdown“ der Regierung bereits zu Beginn des Jahres 2019 die Unsicherheit sowohl unter politischen Verbündeten als auch Handelspartnern.

Dieser Überblick über den Wahlzyklus von 2019 zeigt, dass politische Stabilität und sogar lokale Sicherheit vor Abstimmungen über Parlamente, Präsidenten und Kommunen großen Einfluss auf das Ergebnis und die Folgen der Wahlen nehmen können. Um die eigenen wirtschaftlichen Interessen und Partnerschaften zu wahren und Risikomanagementstrategien an mögliche negative Nachwahlszenarien, von der Erfüllung nationalistischer Wahlversprechen bis zu gewalttätigen Unruhen, anzupassen, müssen internationale Unternehmen diese auch im Jahr 2019 im Auge behalten. Sie sind gut beraten, sich mit den nationalen, subnationalen und lokalen Gegebenheiten auseinanderzusetzen: Dazu gehören der politische und gesellschaftliche Kontext bevorstehender Wahlen, historische Muster des Machtwechsels und nicht zuletzt Interessen sowie Einschränkungen der konkurrierenden Kandidaten. Neben einer eingehenden Analyse vieler der oben genannten Länder haben die CONIAS-Experten in der Reihe Risiko Report Szenarien entwickelt. Diese befassen sich speziell mit Wahlen aber auch mit den daraus resultierenden, potenziellen Spannungen und setzen sich mit Risiken sowie Herausforderungen für international tätige Unternehmen in 25 Ländern (von Argentinien bis in die Ukraine) auseinander.

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